Ermittlung & Archivierung

_Text StaEU

Über Standard Euro.doc,

_ Dr.Dagmar Deuring

INFOBLATT

Standard Euro_

Ein Projekt von Anne Metzen

Auf den ersten Blick ist Standard Euro eine große Ansammlung von Kisten in genormten Größen aus hellem, unbehandeltem Holz, verteilt im Raum oder ordentlich aufgereiht in Regalen, von Papieren mit computergeschriebenen Listen, Verzeichnissen und Anleitungen oder Schemata sowie von diversen Büro- und Verpackungsmaterialien.

Konzeptionell ist es ein seit seinem Beginn 1997 stetig wachsendes, sich selbst reflektierendes und nach eigenen Gesetzmäßigkeiten produzierendes Wirklichkeitserfassungs-, -archivierungs- und -verwaltungssystem.

Als künstlerisches Projekt ist Standard Euro eine weit ausgreifende prozesshafte Erkundung von Zeit und Wahrnehmung, von Ich und Umgebung, von Eigentlichem und Rest – und der Ökonomien von (künstlerischer) Arbeit.

Standard Euro zielt zunächst darauf ab, ausgewählte Phänomene des Zeitgeschehens „festzuhalten“ und unter verschiedenen Fragestellungen analysierbar zu machen. In seiner Anlage als bis ins Detail ausgearbeitete Ordnungsstruktur ist es zugleich eine experimentelle Studie über die Verfasstheit unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit.

Im hyperbolischen Gestus der Durchorganisation und Katalogisierung selbst noch der Abfälle spiegelt und erprobt Standard Euro einen tendenziell allumfassenden Systematisierungsdrang in unserer Welt.

Eine Triebfeder der Arbeit ist das Bedürfnis, die Wirklichkeit wahrzunehmen und sich zu ihr zu verhalten. Wie ist es jedoch möglich, angesichts der Fülle und der Geschwindigkeit der täglich auf uns einstürzenden Informationsfluten ein einigermaßen verlässliches Bild der Realität zu erhalten? Und in welcher Beziehung steht der oder die Einzelne zu diesen Wirklichkeiten bzw. zu den daraus geschaffenen Bildern? Wie kann sie oder er sich dazu verhalten? – Eine Frage, die auch die unterschiedlichen Zeitlichkeiten der Nachrichtenticker und des individuellen, körperlichen Lebens betrifft. Nicht zuletzt: Worin liegt der Wert der eigenen Arbeit?

Standard Euro ist der Versuch, in den Prozessen der Arbeit selbst mit diesen Fragen umzugehen: im Sammeln, Ausschneiden, Aufkleben und Beschriften von Zeitungsartikeln – im je eigenen Tempo dieser handwerklichen Tätigkeiten; im Herauslösen und Schaffen von „Kapseln“ aus dem Strom der Zeit durch die Auswahl und bildnerische Nachgestaltung einzelner Phänomene in unterschiedlichen Materialien. Und in der systematischen Einbeziehung eines Dialogs mit verschiedenen Öffentlichkeiten etwa über den Verkauf jener Produktionen auf dem Kunstmarkt oder durch das Integrieren von Reaktionen auf die Arbeit als gesellschaftliches Handeln.

So ist Standard Euro eine Plattform für eine breitere Auseinandersetzung mit unserer Wirklichkeit wie eine eigene künstlerische Arbeit. Und ein Prototyp für weitere Wirklichkeitserfassungs-, -archivierungs- und -verwaltungssysteme, in denen sich andere kulturelle und persönliche Perspektiven ausdrücken mögen.

Dr. Dagmar Deuring

About Standard Euro.doc,

_ Dr.Dagmar Deuring

INFOBLATT

Standard Euro_

by Anne Metzen

Launched in 1997 under the title “STANDARD EURO” was an endeavor devoted to researching and systematizing everyday phenomena and daily world affairs under the aspects of standardization, scaling, and formalization.

The painstaking investigations and process-oriented archival activities of Berlin artist Anne Metzen find their expression in art images, in objects, as well as in a perpetually expanding, cumulative installation, the archive STANDARD EURO. Emerging from the sum of investigations of simple individual observations is an intricate conceptual space, which incorporates both receivers and the surrounding situation.

Objects, events, and conventions – for the most part in the form of self-made for preexisting (image) materials, are extracted from everyday life, examined, and incorporated into the STANDARD EURO system. These in turn become the bases for newly-created works for which individual forms of expression will be found in accordance with fixed parameters.

Materials and production processes are drawn from diverse areas. To date, these have included industrially manufactured semi-finished products, prints, photographs, sculptural objects, reliefs, and works that are medial in nature. Whether collected, research materials or self-made works, each item is assigned a special storage location. Notes, sheets of paper, photographs, cards, objects: everything is sorted into precisely designated, labeled portfolios, folders, cartons, boxes, or crates.

This archiving process is guided and structured by a specially created ordering system with its own nomenclature, one that is visible on all objects. All processes and holdings are registered according to specific criteria in so-called lists and card indexes. Like everything else, these are submitted to constant reworking so that each theme and its processing becomes stratified without ever coming to an end.

The assembled information as well as newly-created materials can be combined with one another according to definitions of contents, appearance, temporal classification, etc.. New interconnections/interrelationships result, ones relying on established conventions of seeing.

Storage containers are piled up to form stacks and arranged in space-filling ways, while only a selection of the content is actually displayed. Depending upon the exhibition theme and the features of the specific venue, these are continually different, and the stacks are also configured differently. Newly-created and recently-acquired materials differ visibly from older ones.

Freier Standard u Archiv.doc,

A : Grundlegendes

/Über die Sagbarkeit zu Standard Euro

Über Standard Euro etwas zu sagen, ist immer nur der Versuch einer Annäherung. Sagen heißt: die Vorgänge, Methoden und Inhalte zu beschreiben und die Zusammenhänge, in denen sie in verschränkender Weise zueinander stehen, zu beleuchten. Dabei kann es sich stets nur um eine Momentaufnahme handeln, da das Betreiben dieses Forschungsprojektes ständigen Änderungen und Weiterentwicklungen unterworfen ist. Im Moment des Auftretens reicht es immer in die Vergangenheit zurück und greift gleichzeitig in die Zukunft, hinterlässt zwischen all den Parametern und dem Konkretisierten zahlreiche Leerstellen, Grauzonen, Überholtes, Revidiertes und Vermeintliches.

/Beschreibung Stand 1/2014

Standard Euro ist ein Forschungsprojekt zur Ermittlung und Archivierung Freier Standards, begonnen 1997.

Anlass und Ausgangspunkt zu diesem Forschungsprojekt ist das Erleben von Irritation und Überforderung.

Es gründet zum einen auf der Fragestellung, wie sich ein Umgang mit der Quantität und Qualität von alltäglich zu Verfügung stehenden Informationen finden lässt.

Zum anderen beruht es auf der Unfähigkeit, auf das zunehmende menschliche Erzeugen und Betreiben von vielen verschiedenen, ineinander verschränkten und sich ständig ändernden Systemen, innerhalb derer sich alles was (Welt) ist bedingungslos einschreibt, zu reagieren.

Die heutige Welt verstehen, ist, die Welt als eine ausnahms- und endlose Verschränkung von unzähligen Einzel-Systemen zu begreifen.

Standard Euro ist der Versuch, einen möglichen Umgang mit der Fülle und Art heutiger Informationen, mit den ihnen innewohnenden Wahrheiten und Missbräuchen dergleichen, ihrem Verwertungspotential und ihren Bedrohungen zu formulieren.

Standard Euro besteht aus zwei ineinander verschränkten und aufeinander verweisenden Interessen: dem Ansinnen des Sammelns und Bewahrens und dem der Ermittlung.

Ersteres betrifft die Entwicklung eines eigenen (Archivierungs-) Systems, das jede mögliche Form von Informationen nach bestimmten ermittelten und festgelegten Gesichtspunkten auswählt, aufnimmt und verwaltet und den dabei entstehenden Prozess augenscheinlich thematisiert und zeigt. Das bedeutet, dass die Objekte oder Artefakte, die diesen Prozess belegen und visualisieren sollen, einem ständigen Wandel unterworfen sind und eher wie Beweisstücke einer Momentaufnahme zu betrachten sind. Sie existieren nur zu einem Zeitpunkt in einer ganz bestimmten Form. Die Belege sind unbeständiger Natur.

Bei dem zweiten Anliegen handelt es sich um ein Forschungsinteresse, dessen Inhalt und Absicht es ist, aus der Fülle der zusammengetragenen und sortierten Informationen und über den langen Zeitraum der Beobachtungen hinweg so etwas wie ein Filtrat, einen Point of State, einen Zustandswert zu ermitteln.

Die Ermittlung findet eine Visualisierung in einem konkreten Endprodukt, in so etwas wie einem Forschungsergebnis - dem so genannten Freien Standard. Meist handelt es sich dabei um einen Beleg von Bestand und Dauer.

Das Zusammenführen beider Interessen soll eine Ahnung davon entstehen lassen, wie sehr man beim Ausloten und Abstecken der Grenzen eines Systems und im Umgang mit Informationen in ein Wechselspiel von Sinnhaftigkeit und Absurdität von Überregulierung, Beliebigkeit und Grauzone gerät.

Standard Euro ist ein Projekt mit offenem Ende, bei dem Gesammeltes, Themen, Belege und Parameter nicht nur ein immer größeres Volumen annehmen, sondern auch eine zunehmende Dichte und Verschränkung entwickeln sollen.

/Der Freie Standard

Phänomene des Alltags und des täglichen Weltgeschehens - Informationen - werden aufgegriffen und auf ihre Standardisierbarkeit, Normierung oder Formalisierung hin geprüft. Die ausgewählten Informationen - diese können sein: Dinge, Ereignisse, Konventionen, etc. -meist in Form von Bildern und Worten- werden nun in einen mit festgelegten Regeln funktionierenden Prozess der Klassifizierung, Ablage und Verarbeitung aufgenommen.

Ihres Kontextes entledigt werden die Informationen als reine, „freie“ Informationen zur Grundlage von anzufertigenden Belegen und zu Neukombinationen aller Bestandteile.

Bei der Betrachtung von Standards im weitesten Sinne geht es weniger um all die standardisierten menschlichen Alltagsprozesse, die ein Überleben mit einer gewissen Geschwindigkeit erst ermöglichen und auch nicht um die von der Industrie, vom Sozialsystem, etc. etablierten Normungen in Lebens- und Arbeitsbereichen.

Es geht um Standards, die nicht allgemein thematisiert und offensichtlich sind, es geht dabei um das, was sich fast unbemerkt als allgemeingültiges Ist in unseren Köpfen festgesetzt hat, das, was an Tagesgeschehen zur uns ständig umgebenden Abstraktion, zur Norm, zum Ikon, zum ungeschriebenen Gesetz wird.

Die Suche nach Standards findet auf unterschiedlichen Ebenen und in unterschiedlichen Formen und Ausprägungen statt. Es kann sich dabei um die Wiederholung eines Phänomens oder einer Form handeln, es kann aber auch eine Art von Informierungs-/Informationsstrategie sein, die landläufig von den einschlägigen Medien betrieben wird, es kann sich aber auch um einen geschichtsbedingten Ikonisierungsprozess eines Ereignisses oder einer Person handeln, usw.

Das Standard-hafte kann verstanden werden als eine Schablone, durch die die Welt betrachtet wird, man kann darin aber auch eine Art Konstante innerhalb einer Welt/ Zeit, die durch starke Veränderungen gekennzeichnet ist, sehen und eine Form von Selbstvergewisserung/ Gewissheit daraus ziehen. Der beim Archivieren entstehende Prozess fügt sich in das sich ständig weiterentwickelnde Ordnungssystem mit eigenen Parametern. So sind die Größen der Belege, der Aufbewahrungsbehältnisse, Informationsträger, die verwendeten Schriftarten, etc. normiert und festgelegt, jedes Objekt nummeriert, codiert und Bestandteil einer eigene Nomenklatur. Das Informationsmaterial und die Belege werden geschichtet und gestapelt, in normierten Kisten, Kästen, Schachteln. Die Vorgänge und Bestände sind in einem Regelwerk, in Schemata, in Stammbäumen, Anschauungstafeln, Listen und Karteien erfasst, die Belege sind z.T. industriell gefertigte Objekte, Drucke und Schablonen, Cutouts, Stempelungen, serielle Abgüsse, u.a.

/Das Archiv

Das Archiv als Institution, wird bei Standard Euro nicht nur als ein Gedächtnisort/Speicher betrieben, der versucht Beweise einer Gegenwart zu retten, sondern auch verstanden als eine dynamische Organisationsform, als eine Form von Logistik bzw. als ein künstliches Regelsystem. Es ist dabei sehr genau angelehnt an real existierende Archivierungsverfahren.

Die Archivierungsarbeit ist als ein sich über lange Zeiträume erstreckender offener Prozess anzusehen, innerhalb dessen kleinere, abgeschlossene Einheiten - die so genannten Belege - hergestellt werden.

Dieser Archivierungsprozess weist mehrere unterschiedlich erfahrbare Geschwindigkeiten auf. Er unterliegt dem Spiel von Latenz (der sich in der Schwebe befindenden Informationen außerhalb wie innerhalb des Archivs) und dem Druck der Aktualisierung.

Bei den ermittelten Geschwindigkeiten handelt es sich um erstens die Welt-Ereignissen, die in eine lineare Zeit-Abfolge eingeschrieben sind, zweitens um die Biografie und dem Wahrnehmungs-Verhalten des Archivierenden und drittens um den Umschichtungs- und Ablageprozess, der einhergeht mit dem Finden und Entwickeln von Formen und Strukturen stiftenden Parametern.

Standard Euro sammelt, sortiert und legt ab.

Sortieren führt aufgrund der Gliederungen mit ihren Unter- und Spezial-Einteilungen zu einer Atomisierung einer Information/ einer Begrifflichkeit und zu den Grauzonen ihrer Ablage. Sortieren und Ablegen scheint eher ein Vorhaben zu sein. Denn selten findet eine Information in Form eines Artefakts eine endgültige Zuordnung; meist bleibt sie in der Schwebe, die Ablage ist eine vorübergehende. Erst das Vergehen von Zeit lässt Informationen zu Sedimenten aufschichten, über den längeren Zeitraum hinweg findet sich ein Ort, eine Zuordnung, eine Gewissheit.

Das zusammengetragene Ausgangs-Material bilden Karteien mit gefundenen und selbstangefertigten Bildern/Fotos, Langzeitstatistiken, Interviews, Protokollen. Bei den Ein- und Ausschlussmechanismen des Archivierens spielen nicht nur die zu Beginn des Prozesses aufgenommenen, in mehreren Etappen aussortierten Materialien/ Informationen eine Rolle, sondern auch die beim Produktionsprozess anfallenden Abfälle. Sie werden dem System zurückgeführt und gleichwohl als Bild- und System konstituiernde Komponenten wieder eingesetzt.

Weiterhin sind Ort, Raum und Platz von Bedeutung, an dem das zusammengetragene und abgelegte Material/ Information Volumen annimmt.

Im Gegensatz zum Arbeits- bzw. dem Lagerraum als reine Aufbewahrungs- und Produktionsstätte ist der von Standard Euro „bespielte“ öffentliche Raum – der so genannte InfoRaum_AusstellungsRaum - der Ort einer punktuell inszenierten Verräumlichung des Archivs, also einer Auswahl all der das Archiv bildenden Elemente.

Die Bestandteile des Archivs sind bei dem öffentlichen Auftritt - dem InfoRaum_AusstellungsRaum - je nach Beschaffenheit des Raumes und der Thematik individuell zusammengetragen und angeordnet. Für den ersten Blick sind bestimmte Inhalte gar nicht oder nur in begrenztem Umfang zu sehen. Information wird gezielt freigegeben bzw. zurückgehalten.

Wer darüber hinaus Einblick in die verschiedenen Bereiche des Systems gewinnen möchte, muss je nachdem Tafeln lesen und Schemata studieren, muss Gurte lösen, Deckel heben, Kisten wuchten, Schachteln umschichten, Karteikarten blättern, alles auslegen, verschieben - Geheimnisse lüften, Zusammenhänge schaffen, etwas nach-vollziehen, und ganz nebenbei eine mögliche persönliche Selbstvergewisserung von Welt entwickeln.

_Arbeitsarchiv

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